Pressebericht
Warm gespielt und gleich vorbei
Hohenloher Zeitung, 06. Juli 2018
Warm gespielt und gleich vorbei
Achte Saison des Theaters im Fluss neigt sich dem Ende entgegen – Letzte Vorstellungen am Wochenende
„Alle sind sie Barbaren“ – so das Urteil von Bühnen- und Kostümbildnerin Nina Weitzner lange vor der Premiere im Kocherfreibad. Identifizieren könne man sich bei Maxim Gorkis gleichnamigen Stück mit niemandem auf der Bühne. Doch sie irrt sich. „Ich kriege oft Rückmeldung vom Publikum, dass Anna Fjodorowna die Rolle ist, in die man sich am besten einfühlen kann“, sagt deren Darstellerin Cläre Esche vom Theater im Fluss.
Opferrolle
Mit der unverbrüchlich liebenden und stets verzeihenden Gattin des kaltschnäuzigen Egomanen Tscherkun, kann man gut mitleiden. Auch wenn Cläre Esche diese „abhängige Frau, die sich immer klein macht“ zunächst „total fremd“ war, sie verleiht ir durchaus liebenswerte Züge, spielt sie als sanfte, zurückhaltende Frau. Mittlerweile mag sie die Anna Fjodorowna selbst ganz gut leiden und kann die Frau besser verstehen, die lieber in der Opferrolle bleibt als frei zu sein. Ihre Passivität ist das Werk ihres Mannes, der ihren Selbstwert mit Bedacht klein hält. Dass ihn Gorki ausgerechnet zum Brückenbauer macht, darf man getrost als ironische Zuspitzung des Autors interpretieren. Denn während Tscherkun für sein – bezeichnenderweise scheiterndes – Brückenprojekt den uneingeschränkten Einsatz aller Kleinstadt-Granden verlangt, ist er nicht in der Lage, tragfähige Beziehungen zu bauen – weder zu seiner Ehefrau, noch zu flüchtigen Bekanntschaften, die er zum Zeitvertreib anflirtet. Daran, dass Nadeshda Monachowa (Angela Bayer) seine Tändeleien für Liebe hält und sich schließlich aus Enttäuschung das Leben nimmt, will er keine Schuld haben. Patrick Reinhardt gibt einen eindrucksvollen Tscherkun – voller Leidenschaft für seine eigenen Belange und voller Kälte für die Bedürfnisse anderer.
Nicht nur bei der am vergangenen Samstag gefeierten 100. Theater-im-Fluss-Vorstellung seit Gründung der Truppe geht das Stück geschmeidig über die Bühne. „Wir haben uns warmgespielt“, fasst Jacqueline Sefranek, die die Pritykina spielt, zusammen. Die Texte seien sicher. Spontane Interaktionen auf der Bühne gelängen immer besser. „Schade, dass die Saison gleich wieder rum ist“, bedauert sie. Gerade diesem Zusammenspiel kommt viel Bedeutung in dem handlungsarmen Stück zu, das seine Dramatik aus den verzwickten bis fatalen Beziehungen der Bühnenfiguren untereinander entwickelt.
Sozialkontrolle
Das Publikum, das es ins Kocherfreibad zieht, obwohl dem Stück der Ruf anhaftet, schwierig zu sein, scheint diese Vielschichtigkeit zu schätzen. So auch die Künzelsauer Buchhändlerin Reintraut Lindenmaier, die mit den „Barbaren“ kein Problem hat. „Das Stück zeigt Personen, die in einer Kleinstadt gefangen sind. Da gibt es Marktplatzdynasten und Underdogs und die ganze Bandbreite der Sozialkontrollen. Was da geschieht, müssten viele nachvollziehen können.“ Wer sich darüber sein eigenes Bild machen und herausfinden will, ob wirklich alle auf der Bühne Barbaren sind, hat am heutigen Freitag und am Samstag, jeweils um 19.30 Uhr, dazu noch Gelegenheit.