Pressebericht

Schwere Kost in luftigem Gewand

Hohenloher Zeitung, 07. März 2023

Schwere Kost in luftigem Gewand

Theater im Fluss feiert mit Brechts „Schweyk im zweiten Weltkrieg“ Premiere

Von unserer Redakteurin Tamara Ludwig

Ist es mutig, gar riskant, in Zeiten eines Krieges in Europa, Krieg auf der Bühne zu thematisieren? Nein, es ist die Pflicht der Kunst mit Zeitgeschehen umzugehen, es dem Publikum in Form zu präsentieren und so Denkprozesse anzustoßen, die eine sachliche Nachricht nicht anzustoßen vermag. Mutig ist es jedoch für ein Laientheater, sich dieser Herausforderung zu stellen und sich nicht in den warmen Schoß gefälliger Wohlfühlstücke zu betten.

Dass es diesen Mut besitzt, hat das Künzelsauer Theater im Fluss immer wieder bewiesen – man denke beispielsweise an die herausragende Inszenierung von Paul Kornfelds „Jud Süss“ im Jahr 2015. Nun haben sich Regisseur Franz Bäck und sein Ensemble an Bertolt Brechts „Schweyk im zweiten Weltkrieg“ gewagt. Ein Wagnis – so viel ist nach dem Premierenabend im Kocherfreibad bereits offenbar –, das sich wieder gelohnt hat.

Team

So sorgt Kostüm- und Bühnenbildnerin Nina Weitzner mit ihrem Gespür für Bildsprache und visuelle Überzeichnung von Figuren für eine unmissverständliche Zuordnung der Charaktere innerhalb der Handlung. In den sogenannten niederen Regionen von Brechts Drama finden sich einerseits die bunten Kostüme der tschechischen Bevölkerung, die mit roten Wangen auf weißen Gesichtern folkloristisch, puppenhaft, fast wie fleischgewordene Babuschkas daherkommen. Auf der anderen Seite stehen die Nazis mit düsteren Mänteln und ohne Gesichter, stattdessen mit Fratzen. Mit den höheren Regionen hat Brecht in seinem Stück zudem eine Ebene geschaffen, in der Hitler mit seinen Paladinen Himmler und Göring von der Weltherrschaft träumt – eine offene Anspielung auf den Prolog im Himmel in Goethes „Faust“.

Auch die zum Stück gehörende Musik vom Komponisten und Brecht-Zeitgenossen Hanns Eisler spiegelt die verschiedenen Ebenen der Handlung wider. Sie ist hier kein Beiwerk, sondern – auch textlich – handlungsrelevant. Während es im Wirtshaus „Zum Kelch“ Polkas, Märsche und ganz allgemein Volksliedgut zu hören gibt, erklingen in den höheren Regionen vor allem ernste Töne. Die Ernsthaftigkeit wird jedoch durch das Spiel der stummen Protagonisten um Hitler konterkariert, wenn diese beispielsweise Tanzbewegungen aus dem „Ententanz“ machen. Atonale Rezitative, bei denen jeweils ein Sänger oder eine Sängerin den Figuren auf dem Bühnendach die Stimme leiht, ersetzten Dialoge. Musikalisch eine Herausforderung, selbst für geübte Sänger. Die Darsteller schlagen sich gut – das dürfte auch an der Unterstützung durch die versierte Katerina Maria Kraft am Keyboard liegen.

Verschmitzt

Der Unterhaltungswert des Stücks ist hoch, trotz des ernsten Themas, fast möchte man die komischen Elemente als Waffe gegen die Grauen des Krieges deuten. Dazu trägt auch Bertolt Brechts Hauptfigur bei. Hundehändler Schweyk tut ganz pragmatisch, was man ihm sagt: „In solchen Zeiten muss man sich ihnen unterwerfen.“ Sagt aber auch, was er denkt: „Der Hitler lässt sich nicht gegen jeden x- beliebigen Trottel ersetzten.“ Und weiß doch genau, wann er den Mund halten muss. Das Verschmitzte am Schweyk-Charakter, der sich mit teils aufgesetzter Naivität und einer Portion Chuzpe aus heiklen Situationen laviert, bringt Lutz Funkes Spiel hervorragend zur Geltung. Und auch das restliche Ensemble weiß seine Rollen gekonnt auszufüllen: Grandios komisch etwa der stets hungrige Baloun (Ulrich Lauterbach) oder auch gewohnt souverän in Spiel und Gesang Nina Hrubesch als Wirtin Anna Kopecka. Selbst kleinere Texthänger überspielen die Laiendarsteller mit professioneller Nonchalance.

Und wenn Schweyk am Ende in den niederen Regionen auf Hitler (Jacqueline Sefranek) triff, der desorientiert durch das schneebedeckte Russland irrt, dann begegnen sie sich auf Augenhöhe. Der Schrecken des Diktators schwindet in dieser Gegenüberstellung von Gut und Böse, Ernst und Witz, Herrscher und Volk. Doch das Schicksal beider bleibt offen – der Krieg ist noch nicht zu Ende.