Pressebericht

Wenn das Andere zum Feindbild erklärt wird

Hohenloher Zeitung, 15. Mai 2015

Wenn das Andere zum Feindbild erklärt wird

Ensemble und Zuschauer von Theater im Fluss befassen sich mit dem NS-Propagandafilm „Jud Süß“

Jud Süß? War das nicht ein Propagandafilm der Nazis? Stimmt. Aber die gleichnamige Tragödie „Jud Süss“ von Paul Kornfeld, 1930 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführt, hat mit dem NS-Propagandastreifen aus dem Jahre 1940 wenig gemeinsam. Genau diese Tragödie probt derzeit Theater im Fluss. „Viele verwechseln ja beides“, betont Heiner Sefranek, Vorsitzender des Vereins Theater im Fluss. Die Theatermacher um Regisseur Franz Bäck stellten sich am Montag jedoch auch dem nationalsozialistischen Machwerk. Im Künzelsauer Prestige Filmtheater lud Theater im Fluss zur Vorführung des Propagandafilms „Jud Süß“ ein.

Begleitung

„Jud Süß“ ist nicht verboten, betonte Herbert Heinzelmann. Der Nürnberger Publizist und langjährige Kulturredakteur begleitet die Vorstellungen pädagogisch, denn Jud Süß gilt als so genannter Vorbehaltsfilm. Er darf nur mit fachlicher Vor- und Nachbereitung öffentlich gezeigt werden. Angesiedelt sind Paul Kornfelds Theaterstück „Jud Süss“ und der von Joseph Goebbels in Auftrag gegebene Propagandafilm „Jud Süß“ gleichermaßen am Hofe des Württembergischen Herzogs Karl Alexander. Der Jude Joseph Süß Oppenheimer (1698 bis 1738) diente dort fünf Jahre als „Geheimer Finanzrat“. Das, was der Propagandafilm zeigt hat, so belegt die Forschung, nichts mit dem wirklichen Wirken des Joseph Süß Oppenheimer bei Hofe zu tun. „Der Film klittert die Geschichte dahin, wo er sie haben will“, erklärt Herbert Heinzelmann.

„Jud Süß“ kam 1940 im Gewand eines historischen Spielfilms daher, auf der Setliste standen die namhaftesten deutschen Schauspieler der Zeit. Den verschwenderischen, lüsternen Herzog Karl Alexander etwa spielte Heinrich George, der Vater von Götz George.

Die Verwendung von Maske, Kostüm, Schnitt und Kameraeinstellung führen zu der nüchternen Feststellung: Goebbels, über dessen Schreibtisch jedes Wort des Drehbuchs ging, und Regisseur Veit Harlan wussten das Propaganda-Potenzial des Mediums Film bewusst auszunutzen. Da ertönen dissonante und für heutige Ohren geradezu schräge Töne, wenn jüdisches Leben in engen Gassen gezeigt wird. Die Juden werden zu Fremdlingen erklärt – durch Musik, Gesang, Kostüm und mit stets verschlagenen, intriganten Gesichtszügen. Sie sprechen unter sich eine Art Film-Jiddisch. Dann Filmschnitt. Gezeigt wird nun ein braves deutsches Mädel, das ein Volkslied singt.

Klischees

Propaganda, so Herbert Heinzelmann, funktioniere immer gleich. Als Beispiel zitiert er den Film „Independence Day“. Der amerikanische Präsident rettet darin die Welt vor Aliens. Für Heinzelmann pure Propaganda. In „Jud Süß“ von Veit Harlan treten die Juden allesamt wie Karikaturen osteuropäischer Juden auf. Sie werden fremdartig gezeigt. Aliens auch sie. Der Finanzrat Jud Süß Oppenheimer indes macht es im Film anders als seine jüdischen Mitbürger. Er zieht als Verkleidung den feinen Rock des herzoglichen Beamten an. Die Botschaft soll lauten: Wirklich gefährlich sind die assimilierten Juden.

Im Prinzip, so Herbert Heinzelmann, ist das Muster einfach: Das Böse bedrängt das Gute. Das Gute leidet, aber es siegt am Ende doch über das Böse. Klingt vertraut nach jedem x-beliebigen Abenteuerfilm.

Franz Bäck, Regisseur von Kornfelds Stück „Jud Süss“ bei Theater im Fluss, fand nach der Vorstellung: „Das ist ja grauenhaft. Das ist eine Ansammlung von grässlichen Klischees. In welchem Klima kann so ein Film funktionieren? Ich habe ihn jetzt zum sechsten Mal gesehen. Ich kotze.“

Vorstellungen

Premiere der Tragödie „Jud Süss“ von Paul Kornfeld ist am Mittwoch, 3. Juni, im Kocherfreibad Künzelsau. Sie ist ausverkauft. Weitere Termine: Freitag, 5. Juni, Samstag, 6. Juni, Donnerstag, 11. Juni, Freitag, 12. Juni, Samstag, 13. Juni, Mittwoch, 17. Juni, Freitag, 19. Juni, Freitag, 26. Juni, Samstag, 27. Juni, Sonntag, 28. Juni, Donnerstag, 2. Juli, Freitg, 3. Juli, Samstag, 4. Juli. Jeweils 19.30 Uhr.

Autor: Henry Dol