Pressebericht

Kopfsprung in die menschlichen Unzulänglichkeiten

Hohenloher Zeitung, 14. Juni 2011

Neuer Verein Theater im Fluss zeigt „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in ungewöhnlicher Freibadkulisse.

Eine Stimme ruft „Pause“, und das Publikum weiß, was die Stunde geschlagen hat. Pause heißt Pause, und da geht man etwas trinken und vielleicht auch einen Happen essen. Kein Problem. Ein paar Schritte weiter, vor den Umkleidekabinen des Kocherfreibads, sind mit Bierbänken und -tischen die Rahmenbedingungen für eine gemütliche Hocketse geschaffen worden. Franz Bäck lässt sich auf eine der Bänke sinken. Noch immer wirkt der Regisseur angespannt. Aber auch voller freudiger Überraschung. Denn sein Experiment, mit dem Verein Theater im Fluss im Kocherfreibad Ödön von Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ aufzuführen, scheint zu gelingen. „So gut habe ich sie noch nie gesehen“, sagt er zur Pause über das 30 Personen umfassende Schauspielerensemble. „Ich weiß nicht, was da passiert“, wundert sich der Theaterprofi. Vielleicht ist es das Adrenalin, das die Schauspieler am Freitag bei der Premiere aufstachelt.

Freigespielt

Ein anderer Theaterkenner, Rolf Wenhardt, Präsident des Landesverbandes Amateurtheater Baden-Württemberg, wird am Ende eine andere Erklärung haben: Nicht Adrenalin war es, sondern ein neues Selbstbewusstsein der Akteure. „Die Gruppe hat sich unheimlich frei gespielt durch diese Produktion“, findet er. Das, so vermutet Rolf Wenhardt, habe etwas mit der neuen Spielstätte zu tun. Alles war neu, alles war möglich.

Fritzi, das kleine Töchterchen von Regisseur Franz Bäck, hat bei den Aufführungen einen wichtigen Job. Sie läuft mit einem Schild „Bitte folgen Sie mir!“ vor den Zuschauern her zur jeweils nächsten Spielstätte. Denn fast das ganze Gelände des Kocherfreibads wird genutzt (Bühnenbild und Ausstattung: Nina Weitzner). Anfangs sitzen die Zuschauer auf roten Würfeln vor der Hauptbühne aus Metallstangen, dann bewegen Sie sich gemächlich zum Kinderplanschbecken, nehmen sodann im improvisierten Heurigen vor den Umkleidekabinen Platz, finden sich urplötzlich in einem schmierigen Bordell wieder und kehren dann vor die Hauptbühne zurück.

Ödön von Horvaths Stück „Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist nicht unbedingt leichte Kost. Es geht um die versteckte Brutalität im kleinbürgerlichen Alltag. Um Gefühlskälte, die hinter hohlen Phrasen versteckt wird. Vorhang auf für Besserwisser, Querulanten, Sadisten. Für ganz normale Leute eben.

Überzeugend

Die Laiendarsteller des neuen Vereins Theater im Fluss verfügen ganz überwiegend über Erfahrung aus den Burgfestspielen Schloß Stetten. Sie überzeugten sowohl in den Haupt- wie den Nebenrollen. Ralf Bürklen als Alfred ist der Faulenzer, der um keine Ausrede verlegen ist („Die Arbeit im alten Sinne rentiert sich nicht mehr“), Angela Bayer ist als Marianne eine junge Frau auf der Suche nach Liebe, sie findet aber nur egoistische Lüstlinge. Ingrid Krupp stellt die reifere Dame Valerie dar, die weiß, dass Geld auf jüngere Männer sexuell stimulierend wirken kann. Ulrich Stier ist der gefühllose Klugschwätzer Oskar. Nadja Hrubesch als Großmutter ist ein Ausbund an Verbitterung und heimtückischer Biestigkeit. In den Nebenrollen gefallen vor allem Andreas Kämmer, der den Hierlinger Ferdinand als durchgeknallten Mephisto auf quietschgrünem DDR-Moped spielt, und Gerhard Neumayer als Metzgergehilfe Havlitschek, der nebem frauenfeindlichen Sprüchen schmatzend auch Reste einer halb zerkauten Wurst Richtung Zuschauer schickt.

Weitere Vorstellungen: 17., 18., 22., 24. und 25. Juni, jeweils 19 Uhr im Kocherfreibad.

Autor: Henry Doll