Pressebericht
Theater im Fluss beendet 2. Theatersaison
Künzelsauer Nachrichten, 29. Juni 2012
„Der kaukasische Kreidekreis“ im Kocherfreibad ging erfolgreich zu Ende
Nach zwölf Aufführungsterminen ging am vergangenen Samstag die zweite Theatersaison des Vereins „Theater im Fluss“ zu Ende. Auf dem Plan stand in diesem Jahr die Inszenierung von Bertolt Brechts Stück „Der kaukasische Kreidekreis“. Das Publikum kam zahlreich und verlies die Vorstellung mit begeistertem Applaus. Auch für Bürgermeister Stefan Neumann war es ein besonderer Theaterbesuch und er bedankte sich anerkennend bei allen Beteiligten, die das Künzelsauer Theaterangebot bereichern und in der einmaligen Kulisse des Kocherfreibads eine großartige Veranstaltung auf die Beine stellen.
Roland Krause, ehemaliger Rektor des Künzelsauer Schloss-Gymnasiums, hat ebenfalls eine Aufführung des kaukasischen Kreidekreises im Kocherfreibad besucht und seine Gedanken hierzu formuliert:
Komik gepaart mit menschlichen Abgründen. Beglückend war das Spiel von der fernen biblischen Fabel; die Geschichte einer mütterlichen Zuneigung zu einem hilflos zurückgelassenen Kind. Im Kern war es ein Blick in menschliche Abgründe, doch dargeboten auf der vergnügtesten Oberfläche alltäglicher Banalitäten; gewürzt voll Lust an menschlichen Schwächen und dargestellt von einer begeisterten Laienspieltruppe.
Dichter der Texte ist Bertolt Brecht, auch hier ein witziger, genialer und gescheiter Autor, der diesem Feuerwerk komödiantischen Ausgelassenseins einen hintergründigen Akzent gab.
Was war zu sehen?
Wie selten einmal gehörten die interessierten Zuschauer und die kessen Spieler auf besondere Weise zusammen. Schon bevor es losging, spazierten alle gemeinsam auf den Wegen des Kocherfreibads herum, miteinander schwatzend und lachend. Unzählige Dinge wie Requisiten und Kulissenteile; alles, was anschließend schnell angezogen, übergestülpt oder aufgestellt wurde, lagen auf der angrenzenden Wiese. Schon die Bühne war besonders: Ein schräg nach oben ansteigender Bretterboden, hinten abgegrenzt von einem großen Vorhang, aufgehängt an einem Seil zwischen zwei Bäumen. Auch Lautsprecher und Kabel, Steuerpulte und Mikrophone waren sichtbar. Es war, wie es wohl in früheren Zeiten gewesen sein mag, eine Schauspielszenerie einer fahrenden Truppe auf dem Markt eines Städtchens – und alle gingen hin.
Verwirrung wird zu Begeisterung
Dann aber begann es wirklich beim scheidenden Sonnenlicht eines lauen Sommerabends unter hohen Bäumen zuerst verwirrend: Schwarze Berserker-Gestalten mit übertriebenen Maschinenpistolen trampelten auf der Bühne herum; auf dem Kopf ein Ding, halb Helm, halb Pilzgeschwür. Sie stellten die dumme, stupide Macht eines Tyrannenhofs dar. Eine Revolution bricht aus, viel Volk stürmt herein. Zuletzt ist der Herrscher gehängt und seine Schranzen geflohen. Sein Weib, eine rechte Zicke, verschwindet auch und lässt ihr Kind im letzten Augenblick einfach zurück. Den Säugling findet die Hauptperson, die Dienstmagd Grusche, und sie kann das Kind nicht liegen lassen. Zuletzt im Stück muss ein Richter entscheiden, wem das Kind zugesprochen wird: der Rabenmutter oder der Magd mit Herz.
Aber so weit ist es noch lange nicht. Voll grotesker Fantasie wird gezeigt, was im prallen Leben drum herum so spielt. Die Revolution hat alles auf den Kopf gestellt. Allein das Bild des Richterstuhls ist ein köstliches Beispiel: Auf ihn wird jetzt munter der hinaufgesetzt, den das Glück des Augenblicks gerade hochgeschwemmt hat. Willkür, Bestechung und Buhlerei beherrschen das Feld. Ein Wirbel von Nebengeschichten tut sich auf. So bleibt es nicht aus, dass auch wir Zuschauer nicht sitzen bleiben dürfen: Ein Kind verlockt uns aufzubrechen, mehrmals dürfen wir die Szenenplätze tauschen. In der einen muss Grusche mit ihrem Findling fliehen und halsbrecherisch über eine Hängebrücke in luftiger Höhe eine Schlucht überwinden. Ein andermal strauchelt sie fast, als sie hilfesuchend in der Ferne den Bruder um Unterschlupf bittet. Dieser zwingt sie, um dem Vorwurf zu entgehenm eine Hure mit Kind aufzunehmen, schnell noch einen Halbtoten zu heiraten. Der aber wird plötzlich und dummerweise wieder lebendig. Gerade diese Szene zeigt, wie Bertolt Brecht an absurden Bildern die Hohlheiten des menschlichen Zusammenseins bloßlegt.
Viel Musik, grelle Kostüme, großartige Schauspieler
Viel Musik war einbezogen; sparsam, aber höchst lebendig als Begleitung von gesungenen Texten, mitten im Geschehen. Alles ging über Lautsprecher, es fand ja im Freien statt, herrlich eingebettet in die Landschaft mit Vogelzwitschern und Wasserplätschern.
Man verstand die Texte gut – und damit sind wir bei den Rollen. Für sie waren überraschende Spieler gefunden worden. Voran natürlich die Dienstmagd Grusche, die immer wieder den dunklen Hintergrund der Fabel aufleuchten ließ. Sie war die menschliche Not in Person, die, ohne sich zu verlieren, bis zum Schluss durchhielt.
Demgegenüber und im Gegensatz dazu entfesselte Brecht den vitalen Komödianten-Tanz. Szene um Szene eine groteske Schau mit lauter Nebensächlichkeiten: in buntem Wirbel Liebschaften, Mogeleien, Zwistigkeiten. Wir Zuschauer hatten Mühe, uns schnell einen Reim daraus zu machen.
Kostüme und Masken trugen ihren Teil dazu bei; es strotzte von lockeren Übertreibungen und von grellen Farben.
Anerkennung für entgegengebrachtes Vertrauen
Hier ist ein Lob für den Regisseur am Platz, alle anderen Verantwortlichen eingeschlossen. Er ließ viele Freiheiten für jede Rolle gelten. Er kannte dabei die feine Grenze zum hohlen Klamauk und überschritt sie an keiner Stelle. Die Dichte des Spiels steigerte sich sogar zum Ende hin. Das zu erleben blieb ein unerwartetes Geschenk, ein erfrischendes Spiel im Spiel, von den Darstellern entzündet, aus den Wurzeln der Gemeinsamkeiten erwachsen. Dass im Hintergrund eine unendliche Vorarbeit zu leisten war, ging im Applaus und im verdienten Aufatmen der Spieler erst einmal unter. Der Dank gilt deshalb allen vor und hinter der Bühne.