Pressebericht
Anatomie eines Justizmords
Hohenloher Zeitung, 20. Juni 2015
Anatomie eines Justizmords
Historikerin Gudrun Emberger erläutert den Aufstieg und Fall des historischen Jud Süß Oppenheimer
Wer war dieser Joseph Süß Oppenheimer, der im Mittelpunkt von Paul Kornfelds Drama „Jud Süß“ steht, mit dem das Theater im Fluss in diesem Jahr sein Publikum begeistert? Die Historikerin Dr. Gudrun Emberger von der FU Berlin stellte in der Stadthalle Künzelsau rund 130 Zuhörern die historische Gestalt vor, deren Aufstieg und Fall Kornfeld und Lion Feuchtwanger zu ihren Werken inspirierte und die Regisseur Veit Harlan gemäß den Wünschen der NS Propagandisten zum Prototyp des hässlichen Juden umformte.
Kein Ruhmesblatt
Persönliche Aufzeichnungen Joseph Oppenheimers, die den Menschen Oppenheimer näher bringen könnten, fehlen ebenso wie authentische Bilder. Nur die Prozessakten geben Einblick in den Aufstieg und Fall des jüdischen Bankiers in Diensten des württembergischen Herzogs. Doch diese Akten vermitteln kein unvoreingenommenes Bild von dem Mann, der gleich nach dem Tod des Herzogs 1737 ohne Haftbefehl arretiert wird.
Ein typischer Jude ist Joseph Süß Oppenheimer in seiner Zeit indes nicht. Im Gegenteil: Der Bankier lebt in Frankfurt außerhalb des Ghettos, fern seiner jüdischen Glaubensbrüder. Karl Alexander verschafft er bereits Geld und Schmuck, als dieser noch Generalfeldmarschall in kaiserlichen Diensten ist. 1733 macht ihn der frisch gekürte Herzog erst zum Residenten, dann 1736 zum geheimen Finanzrat. Als engster Berater eröffnet er dem Fürsten neue Geldquellen – unabhängig vom Steuerbewilligungsrecht der Landstände. So füllt er die Kasse des Herzogs – und schafft sich Feinde.
Bereits 1735 erwähnt Oppenheimer Drohungen gegen seine Person. 1737 bittet er den Herzog gar um Entlassung und ein Sicherheitsreskript, das ihn der Verantwortung enthebt, die seine Ämter mit sich bringen. Dieses Absolutorium erhält er zwar, doch kurz darauf stirbt der Herzog. Ohne fürstlichen Schutz ist der Fall des geheimen Finanzrats nicht aufzuhalten.
Sündenbock
Oppenheimer wird inhaftiert, sein Vermögen konfisziert, und schon vor Prozessbeginn stand sein Todesurteil fest. Für Gudrun Emberger steht fest: Joseph Süß Oppenheimer ist das Opfer eines Justizmords – „kein Ruhmesblatt für Württemberg“, urteilt sie. Oppenheimer wird damit zum Sündenbock für eine unliebsame Politik des Herzogs. Ob er deren Macher oder nur ausführendes Organ ist, darüber sind sich die Historiker nicht einig. Deren Beurteilung der Geschehnisse sei unterschiedlich und stets auch ein Spiegel des deutsch-jüdischen Verhältnisses, so Emberger.
Für seine Ankläger hat sich des Herzogs Berater „landesverderblicher Machenschaften“ schuldig gemacht. In öffentlichen Aufrufen bitten sie die Bürger um Mithilfe und sammeln insgesamt 607 denunziatorische Anschuldigungen.
Abschreckung
Zunächst gibt sich der Gefangene beim Verhör noch diplomatisch, selbstbewusst, mitunter gar ironisch. Doch Folter und Haftbedingungen zermürben ihn. Sein Pflichtverteidiger bleibt untätig. Zwischen Empörung und Verzweiflung schwankend, nähert sich Oppenheimer seinem jüdischen Glauben wieder an. Als 1738 das Todesurteil verkündet und er zur öffentlichen Hinrichtung nach Stuttgart überführt wird, ist der Lebemann von einst laut einem Zeitzeugen nur noch der Schatten seiner selbst: zerlumpt und abgemagert.
Am 4. Februar 1738 wird er an einem 18 Meter hohen Galgen aufgehängt. 12 000 Gaffer haben sich am Richtplatz versammelt – ein Hype, der sich in zahlreichen Flugblättern niederschlägt und zur Legendenbildung um den Juden Süß beiträgt. Sechs Jahre lang bleiben die sterblichen Überreste Oppenheimers in einem Käfig ausgestellt. Sein Besitz wird versteigert. Ehrbare Stuttgarter beteiligen sich daran. In die Staatskasse fließen 66 000 Gulden.
Schauspiel
Das Theater im Fluss spielt Paul Kornfelds „Jud Süß“ im Künzelsauer Kocherfreibad noch sechs Mal, jeweils um 19.30 Uhr. Die Vorstellung am 26. Juni ist ausverkauft. Für die Termine am 27. und 28. Juni, sowie 2., 3. und 4. Juli gibt es Karten bei Tabak Brückbauer in Künzelsau unter 07940 2721 oder unter www.theater-im-fluss.de.
Autorin: Barbara Griesinger