Pressebericht

Kraftakt am Kocherufer

Hohenloher Zeitung, 31. Mai 2016

Kraftakt am Kocherufer

Probenbesuch beim Theater im Fluss – Endspurt für Ödön von Horváths „Die Unbekannte aus der Seine“

Es dämmert bereits am Freitagabend gegen 21 Uhr, als Patrick Reinhardt für zwei Minuten der Kragen platzt: „Wenn wir heute Abend diese Szenen nicht wenigstens einmal durchspielen können, dann weiß ich nicht, wie ich das in einer Woche auf der Bühne machen soll – dann müssen wir die Premiere eben verschieben.“ Reihnardt hat wie alle Laienschauspieler vom Theater im Fluss bereits einen ganz normalen Arbeitstag hinter sich. In Horváths „Die Unbekannte aus der Seine“ spielt er den Albert, die männliche Hauptrolle. Nach zwei Stunden Probe übermannt ihn kurz Erschöpfung. Aber dann geht es wieder weiter – von Aufgeben kann gar keine Rede sein.

Dass die diesjährige Premiere im Künzelsauer Kocherfreibad verschoben wird (siehe Hintergrund), hat nichts mit den Schauspielern zu tun. Für sie geht es nach diesem kurzen Ausbruch mit vollem Einsatz weiter – und den verlangt Regisseur Franz Bäck auch – von jedem einzelnen seiner Truppe. „Du musst spielen, Moni, nicht den Text sichtbar machen. Lass das Pathos! Das ist Horváth und nicht Schiller. Spielen heißt im Augenblick sein. Du hetzt immer so durch“, ermahnt Bäck seine „Unbekannte“ Monika Müller. Im Stück tanzt sie im Regen – einmal. Bei der Freitagsprobe tanzt Monika Müller viele Male – und immer wieder schüttelt ihr Regisseur unzufrieden den Kopf.

Einmal reckt sie ds Gesicht zu früh in den imaginären Regen. Da stimmt die Zeitabfolge nicht. Dann geht Franz Bäck wieder alles zu schnell, und dann steht ihm die Laiendarstellerin zu starr auf der Bühne. „Wenn ihr euch zu Hause unterhaltet, dann bewegt ihr euch doch auch“, ruft er auf die Bühne. Monika Müller bricht ab – und beginnt erneut – viele Male.

Glaubhaft

„Es geht um die Wahrheit. Was auf der Bühne passiert, muss glaubhaft sein“, verlangt Bäck. Das fordert von den Darstellern im Idealfall nicht nur so viel Einfühlungsvermögen, dass sie sich selbst vergessen und mit ihren Rollen verschmelzen. Das erfordert auch ein gerüttelt Maß an Kritikfähigkeit und Ehrgeiz – und jede Menge Geduld.

„Scheiße“, schreit sich Monika Müller wenig später den Frust aus der Seele. In der nächsten Szene gibt die Unbekannte eine Bettlerin, die Passanten mit rührseligen Geschichten anschnorrt. „Ich kann dieses blöde Betteln nicht“, schimpft sie. Während sie ein aggressives „Her mit der Kohle“ zischt, verlässt sie die Bühne im Fluss und läuft auf die Regiestühle zu – eine wütende Bettlerin ist sie. „Ich brauch´ das Geld, wenn ich ohne heimkomm´, schlagen mich meine Brüder“, schreit sie ihrer Kollegin Nadja Hrubesch ins Gesicht, die als Statistin dasitzt und auf ihren eigenen Auftritt als Irene wartet. Und plötzlich ist da jede Menge ganz authentischer Wut. „Ja, gut, gekauft, Mach´ das so.“ Franz Bäck hat sich die Szene zwar anders vorgestellt, aber Monika Müllers Interpretation überzeugt ihn. Genau auf diese Authentizität kommt es ihm an.

Kraftakt

Ödön von Horváth hat seinen Zeitgenossen stets genau aufs Maul geschaut. Seine Texte sind „nicht intelektuell strapaziös“. Oft reden seine Figuren sogar richtigen Stuss. Worauf es ankommt, das steckt meist zwischen den Zeilen. Und das ist für die Künzelsauer Laienspieler eine große Herausforderung. „Was man entdecken kann in dem Stück, ist nicht im Text geschrieben. Das muss man in sich selbst entdecken – und das geht uns manchmal ziemlich nah“, weiß Franz Bäck.

Analyse

Nicht gerade wenig verlangt, ist das: Eine genaue Textanalyse ist da bestenfalls die Basis fürs Bühnengeschehen. Auch mit empathischem Mitfühlen ist es nicht getan. Gefragt ist vielmehr eigenes Erleben all´ dessen, was Horváths Figuren zustößt, die meist so verzweifelt um ihr Leben kämpfen, dass einem das Lachen schon im Hals stecken bleibt. „Es wird euch gelingen, wenn ihr versucht zu verstehen, was da passiert und nicht wenn ihr die Sätze aufsagt. Ihr müsst es fühlen“ macht Bäck seinen Darstellern Mut und hat damit bis jetzt immer erreicht, dass sie noch ein mal über sich hinauswachsen.

Premiere wegen Unwetters verschoben

Ein Unwetter kommt auch in der Horváth-Komödie „Die Unbekannte aus der Seine“ vor: Im dritten Akt geht ein gewaltiges Gewitter mit Blitz, Donner und Hagel nieder. „Gegen etwas Regen und Donner an der Premiere häten wir deshalb nichts“, sagte Regisseur Franz Bäck in der vergangenen Woche noch mit einem Schmunzeln. Nun hat das Unwetter, das in der Nacht zum Montag über der Region niedergegangen ist, dem Theater im Fluss einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Premiere am kommenden Donnerstag, 2. Juni, muss verschoben werden. Sie findet nun am Dienstag, 7. Juni, um 18 Uhr statt, so erklärt der Vorsitzende des Theatervereins Heiner Sefranek und führt mehrere Gründe dafür ins Feld: Nicht nur, dass die Menschen in der Region nach dem Hochwasser, das nicht nur eine Spur der Verwüstung durch Hohenlohe gezogen hat, sondern auch ein Todesopfer forderte, andere Dinge im Kopf hätten als eine Premiere. Im Künzelsauer Kocherfreibad sei einerseits das Wasser noch zu hoch, um direkt in Ufernähe Theater zu spielen. Andererseits sei auch noch unklar, ob die Technik Schaden gelitten habe. „Das muss erst noch überprüft werden“, so Sefranek. Die Proben laufen allerdings weiter, zumindest auf der großen Bühne, die nicht direkt am Fluss aufgebaut ist. Geplant ist die Vorstellung, die am Samstag, 4. Juni, um 19.30 Uhr geplant ist, als Vorpremiere abzuhalten. „Wenn das Wetter mitmacht, wird gespielt. Wer Karten für diese Vorstellung hat, muss nicht verzichten.“

Autor: Barbara Griesinger