Pressebericht

Existenzkampf am Kocher

Hohenloher Zeitung, 09. Juni 2016

Existenzkampf am Kocher

Horváths „Die Unbekannte aus der Seine“ ist die bislang größte Herausforderung für das Theater im Fluss

„Es ist schön, einen Menschen zu brauchen, aber es ist auch schlimm für den Mensch, den man braucht.“ Das ist ein typischer Satz aus Horváths „Die Unbekannte aus der Seine“. Einer, der sich selbst ad absurdum führt. Die Unbekannte fasst darin die Quintessenz ihres Lebens zusammen, bevor sie ins Wasser geht. Aber derselbe Satz charakterisiert treffend das Beziehungsgeflecht, das auf der Bühne im Theater im Fluss ausgelebt wird. Jeder sucht da das passende Pendant zum eigenen Lebensglück – die Grenzen zwischen Brauchen und Missbrauchen sind dabei fließend.

Sprechblasen

Da ist die Blumenhändlerin Irene, die ihren Ex-Verlobten Albert zwar noch liebt, sich aber vom wortgewaltigen Macho und Versicherungsangestellten Ernst einreden lässt, mit ihm besser durchs Leben zu kommen. Nadja Hrubesch gibt sie stimmig als verhuschtes Mäuschen, das insgeheim von der großen Liebe träumt. Sie findet in Ulrich Stier als Ernst den perfekten Partner, der stets mit latenter Gewalt und großen Sprechblasen die Situation beherrschen will.

„Ich hab doch kein anderes Bestreben, als die Welt so zu schildern wie sie ist“, gibt Marlene Berendt als Ödön von Horváth dem Premierenpublikum sozusagen als Einführung ins Stück mit auf den Weg durch den Premierenabend im Kocherfreibad. Wer sich diesen Satz nicht merkt, tut sich mit dem Horváth-Stück und dessen etwas anderem Komödienbegriff schwer. Denn die Laientruppe um Regisseur Franz Bäck serviert ihrem Publikum nach dem opulent inszenierten Historienspiel um Jud Süß in dieser Saison harte Kost: Horváth führt mitten hinein in die dumpfe Welt der Kleinbürger, in der die Misere allgegenwärtig und das Glück ein steter Traum ost. Nina Weitzner hält Bühne und Kostüme vielsagend in dumpfem Grau. Selbst Irenes Blumen haben graue Blüten. Und die musikalische Leiterin Eva-Maria Schneider-Reuter sorgt teils mit schrillen Violin(miss-)tönen, teils mit Schlagern, für eine zweite Reflexionsebene. Auf der Szene wird derweil getrickst, getäuscht, gelogen und betrogen – wenn´s sein muss, werden harte Bandagen angelegt. Schrille Typen – vom depressiven Bräutigam (Michael Borek) bis zum leicht beschränkten Polizisten (Ulrich Lauterbach, der zudem zwischen den Akten mitreißend improvisiert) – sorgen vor allem in den Nebenrollen dabei für viel Kurzweil.

Sein und Schein

Doch es geht in Horváths „Unbekannter“ eben nicht um derbe Späße, sondern um eine sehr subtile Form von Komik, die entsteht, wenn Sein und Schein auseinander driften, wenn die Sätze, die aus dem Mund quellen, nicht zu dem passen, was der Körper sagt und der Mensch tut. Dies auf der Bühne stimmig auszuleben ist hohe Kunst. Und damit wird das Stück zur bislang größten Herausforderung des Laienspiel-Ensembles. Erst recht, wenn die Figuren während des Stücks eine Entwicklung durchlaufen wie Albert, den Patrick Reinhardt als labilen Mann spielt, der zwischen Frust und Moralanspruch, Angst und Egoismus hin und hergerissen, seinen Weg sucht.

Die schwerste Rolle hat Monika Müller als Unbekannte. Denn im scheinbar frechen, freiheitsliebenden Freak mit dem perlenden Lachen und dem klaren Blick für die Nöte anderer – vor allem Alberts – tut sich ein Gefühlsreichtum, aber auch ein Abgrund an Verlassenheit auf, der selbst einem Profi alles abverlangen würde. Mit noch etwas mehr Mut zum Spiel hat Monika Müller das Potenzial für eine noch perfektere Unbekannte.

Fazit: Unbedingt empfehlenswert.

Autorin: Barbara Griesinger