Pressebericht
Für Multi-Kulti braucht´s Geduld
Hohenloher Zeitung, 03. Juni 2017
Für Multi-Kulti braucht´s Geduld
Theater in Fluss wird mit Fassbinder-Stück zur Integrations-Werkstatt
Ali schreit und tritt gegen einen der Metallträger für die Bühnenbeleuchtung. Seine Beziehung zu seiner Frau Emmi steckt in der Krise, und der Frust muss raus. Der Ausbruch ist so überzeugend, dass Regisseur Franz Bäck Angst um die Beleuchtung bekommt. „Trete doch lieber gegen den Koffer“, rät er seinem Hauptdarsteller mit einem Schmunzeln.
Ali heißt nicht nur auf der Bühne Ali. Ali Ghamar Helalat kommt zwar nicht wie die Bühnenfigur Ali Salem Ben Hedi in Rainer Werner Fassbinders Melodram „Angst essen Seele auf“ aus Marokko, sondern aus dem Iran. Aber er ist von einer überwältigenden Bühnenpräsenz, die selbst den Theaterprofi Nina Weitzner beeindruckt.
Spaß
Hat er schon im Iran Theater gespielt? Der 27-Jährige, der seit 15 Monaten in Deutschland lebt und jetzt endlich den ersten Deutschkurs hat, schüttelt den Kopf. Im Iran war er Händler, kein Schauspieler. Aber Theater zu spielen sei „interessant“ und mache „viel Spaß“, erklärt er in dem gebrochenen Deutsch, das für die Rolle des Ali Salem Ben Hedi perfekt passt. Außerdem lerne er viel bei der Arbeit mit der Theatertruppe.
Neben Ali Ghamar Helalat sind in diesem Jahr sieben weitere Flüchtlinge an der Theaterproduktion beteiligt. Sie spielen die Freunde des Marokkaners Ali, der die verwitwete Putzfrau Emmi heiratet. Sie bringen musizierend und tanzend eine lebensfrohe Gegenwelt zu den vorurteilsbeladenen, verkniffenen Biedermännern und -frauen aus der Umgebung von Emmi auf die Bühne. Und im Gegensatz zur Bühnenwelt, an der die deutsch-arabische Beziehung zwischen Emmi und Ali schließlich zerbricht, kommt das Multi-Kulti-Theaterteam gut miteinander aus. „Ich finds klasse“, sagt Ines Köhler alias Emmi Kurowski. Die Deutschkenntnisse der ausländischen Bühnenkollegen seien schon deutlich besser geworden, findet die Amateurschauspielerin und schwärmt geradezu von ihrem Bühnenpartner: „Ich hätte keinen besseren Partner haben können.“
Mentalität
Ganz einfach ist das Miteinander aber nicht immer. „Bis wir den Hauptdarsteller hatten, haben wir mehrere Anläufe gebraucht“, erzählt der Vorsitzende des Theatervereins Heiner Sefranek. Nicht nur die Mentalität sei mitunter ein Problem, sondern auch die Bürokratie in der Ausländerbehörde. Der erste Hauptdarsteller sei einfach nicht mehr gekommen, ein anderer sei von der Behörde in eine andere Stadt verlegt worden. „Wir ticken unterschiedlich“, bringt Regisseur Franz Bäck auf einen knappen Nenner, dass die Proben mit den Ausländern in der Truppe anders verlaufen. Aber trotz aller Schwierigkeiten habe sich das Projekt gelohnt.
Nicht nur die Sprache sei mitunter ein Problem, auch Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit seien im Lebensgefühl von Orientalen eher unwesentliche Größen, ergänzt Helmut Wagner vom Theaterverein. „Aber das lernen sie schnell, und das ist dann auch eine Bereicherung für ihr Leben hier, sagt er.
Nicht nur die Flüchtlinge lernen bei der Theaterarbeit, wie die Deutschen ticken. Auch umgekehrt eröffnen sich Einblicke in andere Kulturen. Beispiel Ramadan. „Wir wussten, dass wir mit dem Stück in den Ramadan kommen. Aber jetzt zeigt sich, dass wir das anders handhaben müssen. Denn einige gehen deshalb um 21 Uhr heim“, erzählt Franz Bäck und ist sicher, dass sich eine Lösung finden lasse. Integration lasse sich indes nicht durch irgendwelche Zertifikate erreichen. Im Alltag führe die Fremdheit auf beiden Seiten schnell zu Vorurteilen. Aber man könne Verständnis für einander entwickeln. Das Fazit des Regisseurs: „Miteinander verlangt Flexibilität und Geduld.“
Karten
Am Mittwoch, 7. Juni, um 18.30 Uhr hat Fassbinders „Angst essen Seele auf“ im Kocherfreibad Premiere. Das Stück wird danach weitere 14 Mal, jeweils um 20 Uhr, gespielt. Für alle Vorstellungen gibt es noch Karten in Künzelsau bei Tabak-Brückbauer, in Ingelfingen bei Presse Turber, in den HZ-Geschäftsstellen ÖHR und KÜN, im Stimme-Kundencenter K 24 in HN und unter www.theater-im-fluss.com
Autor: Barbara Griesinger