Pressebericht
Eine Liebe zwischen zwei Welten
Haller Tagblatt, 13. juni 2017
Eine Liebe zwischen zwei Welten
Laienschauspieler brillieren bei „Angst essen Seele auf“ im Künzelsauer Kocherfreibad
Man schreibt das Jahr 1973, in dem der erfolgreiche deutsche Filmemacher Rainer Werner Fassbinder für sein Melodram „Angst essen Seele auf“ den Bundesfilmpreis erhält. Es ist die Zeit, in der Gastarbeiter ihr Glück in Deutschland suchen. Fassbinders Film handelt von Emmi Kurowski, 60 Jahre alt, Putzfrau. Ihr Mann starb viel zu früh. Gut 20 Jahre ist sie schon allein. Die drei Kinder kommen von Zeit zu Zeit vorbei. Ansonsten hat ihr Leben nicht viele Lichtblicke zu bieten. Dann hört sie plötzlich auf dem Heimweg eine unbekannte Musik aus einer Kneipe dringen und wird neugierig. Dieser Abend verändert Emmis Leben.
Zeitsprung. Juni 2017 auf einer Bühne im Künzelsauer Kocherfreibad. Emmi betritt die Kneipe und trifft auf Ali, den 20 Jahre jüngeren Marokkaner, einen von vielen Flüchtlingen, die vor kurzem ins Land kamen. Er fordert sie zum Tanz auf, bringt sie nach Hause, schläft bei ihr. Später heiraten die beiden. Ist das Glück nun perfekt? Nein, denn alles, was ihnen aus ihrem Umfeld entgegenweht, ist blanker, zerstörerischer Fremdenhass. Ein Ausländer, ein Drecksack, ein Nichtsnutz.
Es ist das erste zeitgenössische Stück, dessen sich der Verein „Theater im Fluss Künzelsau“ in seiner siebenjährigen Spielzeit annimmt. Dieses Mal gibt es keine verschiedenen Schauplätze wie sonst. Auch die einzige Bühne ist minimalistisch ausgestattet, denn dort geht es nicht um Prunk, sondern um Gefühle.
In der Pause verrät Regisseur Franz Bäck, dass die größte Herausforderung für ihn die Integration der Flüchtlinge war. Sprachbarriere, andere Mentalität, Durchhaltevermögen – all diese Dinge haben ihm Kopfzerbrechen bereitet. Und dann stand Ali Ghamar Helalat, ein aus dem Iran stammender Händler, vor der Theatertüre, und Franz Bäck wusste: „Den hat mir der Himmel geschickt.“
Ein geborener Schauspieler
Was dieser Ali Ghamar Helalat am Mittwochabend als „marokkanischer Ali“ und damit als Hauptdarsteller bei der Premiere im Kocherfreibad abliefert, ist so professionell, dass kaum ein Zuschauer glauben möchte, einen Laien vor sich zu haben. Ali ist der geborene Schauspieler – ausgestattet mit Leidenschaft, Charisma, Emotion. Als er seine Emmi (Ines Köhler) später in den Arm nimmt und ihr sagt „Nix Angst. Angst nix gut. Angst essen Seele auf“, scheint er das Publikum zu berühren. Ines Köhler ist zu Beginn des Melodrams aufgeregt und klingt noch nicht ganz authentisch, steigert sich jedoch im Laufe des Abends deutlich.
Ihre tratschenden und neidischen Putzkolleginnen, Alis Gastarbeiterfreunde, die Wirtin (Nadja Hrubesch), die selbst ein Auge auf den Marokkaner geworden hat, Emmis Kinder und auch der Lebensmittelhändler (Ulrich Lauterbach) mit Frau – all diese ergänzen das Hauptdarsteller-Duo mit teilweise neckischen Szenen stimmig.
Dann plötzlich Verwirrung: Anders als in Fassbinders Film packt Ali aus einem Koffer ein Maschinengewehr aus und schießt wild schreiend um sich. Es fließt kein Blut. Was will Franz Bäck mit dieser Szene sagen? Bringen die Flüchtlinge doch den Terror nach Deutschland? Oder ist es nur Verzweiflung, die Ali zu dieser Tat treibt? Vielleicht auch nur ein böser Alptraum?
Ali bekommt kurz darauf einen Herzinfarkt. Wie gut, dass Franz Bäck den bekannten Künzelsauer Arzt Dr. Andreas Eckle im Ensemble hat. Da darf es dann auch ein bisschen wehmütige Werbung sein: „Glück gehabt, dass wir in Künzelsau so ein hervorragendes Krankenhaus haben“, spielt er auf die nahende Schließung an. Ali überlebt. Das Ende bleibt offen. Viel Beifall folgt für die gelungene Premiere.
Autorin: Corinna Janßen