Pressebericht

Unterwegs in Gorkis Irrgarten

Hohenloher Zeitung, 07. Juni 2018

Unterwegs in Gorkis Irrgarten

„Barbaren“ fordern Publikum und Schauspieler bei Theater im Fluss gleichermaßen

Fröhlich lachend mit roter Zipfelmütze, steht ein Gartenzwerg am Rande des Künzelsauer Kinderschwimmbeckens. Er macht sie perfekt, die Kleinbürgerkulisse von Maxim Gorkis „Barbaren“. Ein Stück, das keine stringente Geschichte erzählt, sondern Episoden, die vordringlich der soziologischen Studie der Charaktere dienen. Ein Stück, das den Laienschauspielern vom Künzelsauer Theater im Fluss und dem Premierenpublikum am Dienstagabend gleichermaßen alles abverlangt. Ein Stück, das die Zuschauer in seiner Komplexität fordert und überfordert, sie mit vielen Fragezeichen im Kopf nach Hause schickt und dennoch genau dadurch seine Wirkung nicht verfehlt.

Eine Kreisstadt in der russischen Provinz um 1900 ist das Setting von Gorkis Werk. Hier leben schlichte Menschen ein schlichtes Leben. Die Aristokratie – personifiziert durch Tatjana Bogajewskaja (Ines Köhler) – hat sich aus der Gesellschaft zurückgezogen. Der Bürgermeister und Kirchenvorstand Redosubow (Michael Sanwald) regiert mit harter Hand. Schließlich tauchen Ingenieure auf, sollen eine eingestürzte Brücke instand setzen. Sie bringen den technischen Fortschritt mitt, was die Kleinbürger mit Argwohn beäugen: „Die werden alles kaputt machen.“

Fokus

Was sich wie eine schlüssige Handlung liest, ist nur bruchstückhaft erkennbar. Auf der Spielfläche – zunächst rund um das Kinderschwimmbecken, später auch im hinteren Teil der Liegewiese – agieren mehrere Darsteller gleichzeitig. Wer spricht, ist im Fokus. Die anderen setzen ihr Spiel pantomimisch im Hintergrund fort. Besonders keck: Marlene Berendt tanzt als Dienerin Stopja zwei Drittel des Abends zur Musik aus ihren Kopfhörern – mal um ds Schwimmbecken, mal auf der Stelle.

Die heimliche Hauptperson in einem Stück ohne Identifikationsfigur ist Tscherkun. Patrick Reinhardt spielt den Ingenieur aus der Großstadt mit den feuerroten Haaren solide, der in seiner Ambivalenz zwischen Moral, Gerechtigkeitssinn und dem eigenen Egoismus schwer zu fassen ist. Ausdrucksstark und mit brillianter Naivität agiert Cläre Esche als dessen Frau Anna. Eine Gefangene in ihrer hoffnungslosen Liebe für ihren Mann und der Angst, ihn an eine andere zu verlieren.

Umschwärmt ist Tscherkun gleich von zwei Damen. Eimal ist da die kühle Aristokratin Lydia, wunderbar arrogant interpretiert von der gewohnt präsenten Nadja Hrubesch: „Nur Weichlinge leben mit einer Frau zusammen, die sie nicht mehr lieben.“ Dann ist da Nadjeschda (Angela Bayer), deren kitschige Vorstellung von wahrer Liebe aus Trivialromanen stammt, mit denen sie aus ihrer unglücklichen Ehe zu fliehen sucht.

Unzähmbar

Die „Barbaren“ seien personalintensiv, lang, ausufernd, vielleicht unzähmbar, sagt Regisseur Franz Bäck im Interview des Programmhefts zur Spielzeit. Das Unzähmbare zu zähmen haben sie versucht. Geglückt ist das in vielerlei Hinsicht. Sei es mit den ausdrucksstarken Kostümen von Nina Weitzner, die die Starrheit des Kleinbürgertums, das in seiner engen Weltansicht verhaftet ist, herausragend widerspiegeln. Oder auch Eva-Maria Schneider-Reuters Auswahl der Musik, die mal atonal und aufwühlend die inneren und äußeren Konflikte unterstreicht, mal mit Debussys wunderbar-weichem „Clair de lune“ den Traum von der großen Liebe für Nadjeschda kurz zum Greifen nah erscheinen lässt. Die schauspielerische Leistung der Laien ist auf gewohnt hohem Niveau, die Inszenierung durchdacht, aber mit Schwächen, wenn es darum geht, das Publikum in Maxim Gorkis kreativem Irrgarten zeitweise an die Hand zu nehmen.

Dennoch: Das Ensemble von Theater im Fluss serviert mit „Barbaren“ zwar schwere Kost, die entfaltet nach dem Verdauen aber durchaus ihren Geschmack.

Stromausfall

Licht aus, Ton weg, mitten im Dialog. „Ich hätte meinen Text gewusst, ruft Jacqueline Sefranek (als Pritykina) dem Publikum lächelnd zu. Sekunden des Bangens beginnen. „Bleibt drin Leute, ihr seid super“, ruft Eva-Maria Schneider-Reuter aufmunternd aus dem Technikbereich hinunter. Da, die Spots leuchten wieder, weiter geht´s – als wäre nichts gewesen.

Autorin: Tamara Ludwig