Pressebericht

Eine Welt zwischen Gruselmärchen und Idyll

Hohenloher Zeitung, 27. Mai 2022

Eine Welt zwischen Gruselmärchen und Idyll

Für Brechts „Schweyk im zweiten Weltkrieg“ hat Nina Weitzner eine kontrastreiche Bildsprache entwickelt

Von unserer Redakteurin Barbara Griesinger

Das Spiel in den höheren Regionen soll ein totaler Gegensatz sein zum Spiel unten in den niederen Regionen.“ Das ist für Nina Weitzner, Bühnen- und Kostümbildnerin des Theaters im Fluss, der Leitgedanke zur Inszenierung von Bertolt Brechts „Schweyk im zweiten Weltkrieg“. Damit nimmt sie die Grundidee des Stückes auf, in dem Brecht eine zweigeteilte Welt entwirft: Das sind auf der einen Seite die da oben in höheren Regionen, die Geschichte schreiben. Im „Schweyk“ sind das Hitler und seine Paladine, die in Weltherrschaftsträumen schwelgen. Auf der anderen Seite stehen die da unten, die kleinen Leute im von den Nazis usurpierten Prag. Sie müssen die Allmachtsfantasien derer da oben durchleben und durchleiden. Ihre Geschichte erzählt Brecht in seinem Stück.

In Zusammenarbeit mit dem Komponisten Hanns Eisler verpackt Brecht diese Diskrepanz in Musik, der in diesem Stück eine besonders große Rolle zukommt. Nina Weitzner hat dazu eine eigene Bildsprache entwickelt, die den historischen Bezug bewahrt, die Gegensätze unterstreicht und das Bühnengeschehen verfremdet. „Ich will, dass man erkennt, dass das Stück im Zweiten Weltkrieg spielt.“ Die Verfremdungstheorie indes sei dabei immer Leitthema, denn Brecht gehe es darum, „Mechanismen zu analysieren und begreifbar zu machen. Verfremdungseffekte unterstützen diesen rationalen Zugang“, sagt Weitzner und hat aus dem Kontrast eine Bühne mit zwei Ebenen geschaffen: oben und unten, dunkel und hell.

Gestalten Das Spiel in den höheren Regionen spielt sich in rund vier Metern Höhe ab und ist „wie ein schauriges Gruselmärchen“ gestaltet. Hitler und seine Paladine agieren als überlebensgroße Gestalten, so will es auch Brecht. Zusammen mit Hanns Eisler hat er ihre Weltherrschaftsträume in atonale Rezitative verpackt. „Diese Musik ist sehr abstrakt und sollte eine Entsprechung in der Bildsprache haben“, sagt Nina Weitzner. Sie verleiht Hitler und Co. mit überlebensgroßen Masken ein puppenhaftes Aussehen. Inspiriert haben sie dabei die Karikaturen von Artur Szyk , einem der bedeutendsten Zeichner politischer Karikaturen des 20. Jahrhunderts, der in den USA als „Soldat der Kunst“ im Kampf gegen Hitler galt.

Weitere Anregungen hat sie auch in der Entstehungsgeschichte des Brecht’schen Schweyk gefunden, für dessen frühe Fassung in den 20er Jahren der Expressionist George Grosz Puppen und Zeichnungen entworfen hat. Diese Gestalt gewordenen Mächte in den höheren Regionen, deren Auftritte Weitzner auch selbst inszeniert, sind während des ganzen Spiels gegenwärtig.

Heile Welt

Die niederen Regionen, in denen sich die kleinen Leute im Prager Wirtshaus zum Kelch begegnen, stehen zu dieser abgehobenen Welt in deutlichem Kontrast. Sie sollen „fast wie ein idealistisches Friedensidyll“ wirken, zitiert Weitzner Brecht. Die Welt derer da unten wird geradezu verklärt und zu einem Bild, das die Sehnsucht der kleinen Leute nach einer heilen Welt widerspiegelt. Ihre Bühne ist in helle Farben getaucht, den Kostümbereich beschreibt die Künstlerin als „geradezu expressionistisch“. Schweyk und sein Freundeskreis tragen leuchtend bunte Kostüme. Sie sind von folkloristischer Kleidung inspiriert, passend zu den Lie- dern, die die Ebene des Kelchs musikalisch prägen und immer wieder tschechische Volksweisen zitieren oder gar übernehmen.

Wenn der Hundehändler Schweyk schließlich den Spitz klaut, den der SS-Mann Bullinger partout haben will, dann spielen sogar der Kocher und die Uferwiese mit und verwandeln sich in die Auen an der Moldau. So schafft Weitzner einmal mehr einen klaren Kontrast zu den düsteren Szenen, in denen Gestapo und SS wie als Handlanger der dunklen Macht der höheren Regionen ins Leben der kleinen Leute einbrechen, und zu den Steppen Russlands, in denen Schweyk im letzten Bild entschwindet. „Das liebliche Hohenlohe fordert uns sozusagen ganz im Sinne der Verfremdung auf, Distanz zum Bühnengeschehen einzunehmen, um zu reflektieren“, so Weitzner.