Pressebericht

Köpenickiade im Kocherfreibad

Hohenloher Zeitung, 02. Juli 2021

Köpenickiade im Kocherfreibad

Regisseur Franz Bäck ist am Ende „sehr zufrieden“. Nicht nur wegen der Umstände – die durch Corona auf nur dreieinhalb Wochen verkürzte gemeinsame Probenzeit, Regen bei der Generalprobe und am Abend der ersten Aufführung, kleinere technische Probleme – sei die Leistung seiner Truppe „ziemlich klasse“ gewesen. Dem Lob des Regisseurs aus Österreich schließen sich die 150 Zuschauer im Kocherfreibad mit lang anhaltendem, mehrfach wieder aufflammendem Applaus an. Kein Zweifel: Die Premiere des „Hauptmann von Köpenick“ ist vollauf gelungen, das Theater im Fluss ist nach zwei Jahren von Badumbau und Corona verursachter Zwangspause auf seiner Bühne zurück. „Eine tolle Leistung, mich hat es sehr bewegt“, freut sich Heiner Sefranek, während die Akteure unter laufendem Klatschen kleine Präsente entgegennehmen.

Militärwahn
Den meisten Beifall heimst naturgemäß Hauptdarstellerin Nadja Hrubesch ein. Bäcks Schachzug, den lange verzweifelten, dann dank seiner Köpenickiade plötzlich obenauf schwimmenden Wilhelm Voigt mit einer Frau zu besetzen, geht voll auf. Ihm gehe es um Verfremdung, um ironisch besetzte Distanz zum männlichen Militärwahn, sagt der Regisseur im informativen Programmheft. Und Hrubesch füllt die ambivalente Rolle wie selbstverständlich aus, als wäre sie ihr auf den Leib geschrieben: Da ist Voigt, der Knastbruder, der eine ehrliche Arbeit sucht, aber ohne die dafür notwendigen Ausweispapiere an den Tücken der preußischen Demokratie verzweifelt. Der unweigerlich rückfällig wird und wieder hinter Gittern landet. Der sich schließlich mit Hilfe einer ausgemusterten Uniform in den Hauptmann von Köpenick verwandelt, dank der plötzlich gewonnenen Autorität wie ein echter Offiziert die Soldaten kommandiert und im Handstreich das Rathaus einnimmt. Und der letztlich doch resigniert und sich den Behörden stellt. Eine Entwicklung, die dank Hrubeschs souveräner Darstellung so spannend wie unterhaltsam bleibt. „Wie ein Karussell ist das“, bringt ihr Voigt den Wahnsinn der Bürokratie auf den Punkt. „Ohne Papiere keine Arbeit, ohne Arbeit keine Papiere.“

Verzicht
Mit der Hauptdarstellerin begeistert auch der Rest des Ensembles. Auf der Bühne am Rand des Kochers lässt der Verzicht auf Kulissen die schauspielerische Leistung der einzelnen Akteure des Amateurtheaters umso stärker strahlen. Viele Darsteller füllen mehr als nur eine Rolle aus, kehren in neuen Kostümen wieder, auch das macht den Reiz der Aufführung aus. Neben Regisseur Bäck, der den eigentlich vierstündigen „Hauptmann“ mit einer pfiffigen Bearbeitung auf knapp die Hälfte verkürzt hat, tragen Kostüm- und Bühnenbildnerin Nina Weitzner und die für die Musik zuständige Eva-Maria Schneider-Reuter einen großen Teil zum Gelingen der Premiere bei.

Eindrucksvoller Beleg: Zum Finale singt das gesamte Ensemble, komplett in schwarz gekleidet, das im Stil einer Nazi-Hymne komponierte „Tomorrow belongs to me“ aus dem Musical und Film „Cabaret“. Die letzte Strophe erklingt als „Der morgige Tag ist mein“ auch auf Deutsch und endet mit dem Hitlergruß in Richtung der am Kopf der Bühne thronenden Uniform.

Eine Dimension, die in diesem Lehrstück über die Obrigkeitshörigkeit einer opportunistischen Gesellschaft, in der ein Rang mehr zählt als der Mensch, und das auch den erstarkenden Nationalsozialismus aufs Korn nimmt, nicht fehlen darf. Schließlich wurde „Hauptmann“-Autor Carl Zuckmayer bald nach der Premiere des Stücks am 5. März 1931, fast genau vor 90 Jahren, in wütenden Beschimpfungen der nationalsozialistischen Presse mit Ausbürgerung, Exil oder auch dem Henker gedroht. Thomas Mann dagegen lobte den „Hauptmann“ als „beste Komödie der Weltliteratur seit Gogols `Revisor´“.